Orientierung für die Zukunft

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Vom Nutzen und Nachteil der Utopie für die Gegenwart

Silhouetten von Menschen, vor einem Erdball bei Nacht. Links ein Schild auf dem Utopie und Exit steht.

Nicht selten werden heute Klagen vernehmbar, die unsere Zeit der Utopiemüdigkeit beschuldigen und dabei im Sinn zu haben scheinen, es gäbe heute keine Ideen mehr, wie die menschliche Zukunft erfolgreich zu gestalten wäre. Wenn es noch welche gibt, sind es, so die Kommentatoren, die falschen, technokratischen Projekte und Projektionen der materialistischen Theologie aus dem Silicon Valley.

Doch trifft man damit überhaupt den Kern eines Tatbestandes oder erfindet man vielleicht erst einen Mangel, um die Unbrauchbarkeit eines heute obsolet gewordenen Begehrens zu kaschieren, das unserer historischen Lage nicht mehr angemessen sein kann? Und, wenn dem so ist, woran könnte das liegen? Welche Potentiale birgt das Utopische, wenn es denn mehr ist als bloße Phantasterei?

Der Roboter Wall-E schaut in die Fehrne zu einem Sonnenuntergang.
Nutzen der Utopie für die Gegenwart
Quelle: unsplash.com

Hoffnungen und Wünsche

Der erste utopische Roman unserer Geschichte, Thomas Morus’ Utopia endet mit der Unterscheidung von Wunsch und Hoffnung, nämlich indem er den Erzähler sagen lässt, dass es in dem „Staate der Utopier“ viele Einrichtungen gäbe, die er den Staaten seiner Zeit „eher wünschen möchte als erhoffen“ könne. — Offenkundig impliziert Morus hier die für alle Utopien entscheidende Kluft zwischen Realisierbarkeit und präskriptivem Entwurf, in deren künstlerischer Überbrückung gewissermaßen das Wesen der frühneuzeitlichen Utopie besteht.

Die Utopie bezeichnet, das erweist schon die Etymologie, einen Ort, der als u-topischer, stets nicht oder noch nicht ist und dessen Status darum hinsichtlich seiner Verwirklichung fraglich sein muss.

Es verwundert daher kaum, dass alle frühneuzeitlichen utopischen Entwürfe geographische, temporale und ideele Inseln bilden: sie werden als fernab des Festlands vorgestellt, außerhalb der geschichtlichen Zeit anderer Völker und repräsentieren eine Welt, in der alles an seinem, ihm gemäßen Platz aufzufinden sein wird und verlassen damit die Umgrenzungen jedes noch perfektiblen Tatsachenbodens. Wie Thomas Morus sagt, kann man deshalb die Utopie nur wünschen, nicht aber erhoffen.

Frau pustet über eine Posteblume. Die kleinen Schirmchen fliegen nach links weg.
Utopie nur ein Wunsch?
Quelle: unsplash.com

Unterscheidung Wunsch und Hoffnung

Die Bedingung der Möglichkeit der Utopie ist ihre reale Unmöglichkeit. Worin aber liegt ihr Nutzen, wenn sie unmöglich sein muss, um möglich zu sein? Kann sie überhaupt etwas anderes sein, als Luftschloss, Weltflucht und Träumerei von Weltfremden, die in einem Akt fabelhafter Notwehr ihre onirischen Gebilde der Unerträglichkeit der mangelhaften Lage des Tatsächlichen entgegensetzen?

Um diese Fragen zu stellen, zumal um sie Antworten zuzuführen, wollen wir noch einmal auf die Unterscheidung von Wunsch und Hoffnung zurückkommen. Sowohl Wunsch als auch Hoffnung richten sich begehrlich auf etwas, das noch nicht ist. Gemeinsam ist ihnen folglich die Entrücktheit ihres Objektes, das nur in seiner potentiellen Zukünftigkeit gegenwärtig ist. Wenn folglich der Horizont von Hoffen und Wünschen die Zukunft selbst ist, dann müssen sie das jeweils hoffende oder wünschende Subjekt im Hinblick auf diese Zukunft disponieren.

Gerade hierin aber unterscheiden sie sich himmelweit von einander. Die Haltung des Hoffenden ist von einer Offenheit für das Eintreffen des Unwahrscheinlichen gekennzeichnet. Wer hofft, der erwartet nicht das Unmögliche, der verlangt nicht Birnen von der Linde, er öffnet sich vielmehr dem guten Ausgang, dem glücklichen Zufall, dem Gelingen des Seltenen und Schwierigen. Aber das Objekt der Hoffnung ist unbestimmter als dasjenige des Wunsches.

Hoffnung

Die Hoffnung hat nicht kein Objekt, denn man kann sehr wohl etwas hoffen, aber die Hoffnung bestimmt eher das Subjekt als den Gegenstand seiner Intention. Auf einen definitiven Ausgang zu hoffen, darf nicht damit verwechselt werden, ihn zu wünschen, weil das allein Resultative der Hoffnung letztlich fremd ist. Indem die Hoffnung auf die Zukunft Bezug nimmt, dient sie vor allem der Einrichtung einer auf das Kommende hin geöffneten und von sich selbst distanzierten Gegenwart, die auch ohne ein tyrannisches Ansinnen auf Verwirklichung auskommt.

Mensch hält eine Wunderkerze über Wasser, welche brennt. Der Mensch ist komplett unter Wasser und nicht sichtbar, lediglich der Arm.
Hoffnung
Quelle: unsplash.com

Wünsche

Der Wunsch ist davon weit entfernt, denn man wünscht stets nur resultativ, man kann nur etwas wünschen — der Wunsch ist weniger eine Öffnung hin auf eine gelingende Entzogenheit als eine sich verschließende Zuspitzung des Interesses auf die Realisierung eines Gegenstandes, eines Zustandes, einer Habe hin.

So ist der Wünschende zugleich auch der Irrealität seines Objektes mehr oder weniger ausdrücklich eingedenk, und wünscht es trotzdem und gerade darum. Der Wunsch ist so leicht ausgesprochen, wie vergessen, so leicht verfolgt, wie verflogen. Was der Wünschende begehrt, ist zwar noch nicht da, es sollte aber sein, uns zukommen, wenngleich eher zweifelhaft bleibt, dass es jemals wird.

Sein Sollen will mit metaphysischer Gewalt und Zauberformeln das Gewünschte zum Sein überreden. Im Gegensatz zur Hoffnung kann der Wunsch in das Mehr-als-Vergangene, ins Plusquamperfekt, übergehen. Man kann sagen: „Ich wünschte, ich wäre dort gewesen“, während zu hoffen, dass man gewesen wäre, keinen Sinn ergibt.

Ein Wunschbrunnen mit vielen Geldstücken im Wasser.
Wunsch

Zu diesem Tatbestand passt die im Deutschen so verbreitete, mahnende Drohung, man solle nur stets vorsichtig und mit Bedacht wünschen, am Ende würde das Gewünschte noch Wirklichkeit. Im Wunsch brennt die Gefahr einer Umkehrung des Natürlichen, des Umsturzes der Gesetze der Wirklichkeit. Womit dennoch zugleich ausgesprochen ist, dass die Realisation von Wünschen eher die Ausnahme der Regel bildet, als die Regel selbst.

Wünsche sind in der Tat fromme oder dämonische Beschwörungen des Unmöglichen und ihre metaphysische Kraft entspricht wohl nur ihrer unmittelbaren pragmatischen Impotenz. Mit anderen Worten: weil der Wunsch in den meisten Fällen im conjunctivus irrealis steht, bürdet er dem Subjekt nicht unbedingt auf, an seiner Verwirklichung durch etwas anderes als das Wünschen selbst teilzuhaben.

Potential zum Zwang

Die Kehrseite des Wunsches glitzert erst in seiner dunklen Strebung ins Obsessive und Manische, in seiner Tendenz zur Vereinnahmung aller Regungen des Subjekts, das dann nichts mehr will, als das Gewünschte und den unendlichen Raum der Möglichkeit über die verletzlich-unverletzlichen Beschränkungen des Wirklichen und Gegebenen zum zwingend-bezwingenden Triumph zu bringen. Der Wunsch hat das Potential zum Zwang und zur Zwanghaftigkeit, er kann zur Preisgabe jedes Rückhalts, jeder Bindung und Gebundenheit führen.

Ein Balloon mit einem Smiley gesicht drauf liegt auf dem Boden. Die Luft ist beihnahe komplett raus. Im Hintergrund sieht man ein Auto vorbei fahren.
Verletzliche Unverletzlichkeit des Wirklichen
Quelle: unsplash.com

Auch hierin gleicht die Hoffnung dem Wunsch mitnichten. Anders als dieser bemüht sie ihr Subjekt zwar zur Entschlossenheit, ohne es allerdings zwingen zu können. Die Hoffnung drängt zur Tat, sie zwingt aber nicht, weil sie selbst schon eine über sich hinausgreifende Aktivität umfasst und bedeutet. Sie überschreitet die Differenz von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, indem sie das Mögliche mit dem Gegeben zu vereinen sucht und als solche beflügelt die Hoffnung ein gelassenes Engagement.

Utopia revisited

Kommen wir auf die Utopie zurück. Von ihr haben wir unter Rückgriff auf Morus sagen können, sie gehöre in das Reich des Wunsches, nicht der Hoffnung. Damit ist im Nachgang unserer Reflexion noch einmal verdeutlich, dass die Utopie, sofern sie den Modus des Wünschens bemüht, ihrem Wesen nach, nicht realisierbar sein kann.

Die positive Funktion der Utopie gleicht dann in der Tat der des Wunsches. Indem sie eine Idealität vorauswirft, die zwar, als Idealität, stets notwendig irreal bleiben muss, aber gleichsam beschworen wird und von ihrem Subjekt Besitz ergreifen kann.

Was passiert, wenn man den den Wunsch wahr machen will, können wir sehen, wenn wir auf die utopischen Projekte von Faschismus (Mussolini seines Zeichens gründete eine Zeitschrift mit dem Namen Utopia) und Sozialismus einen Blick werfen: wer welchen „Himmel“ auch immer auf Erden zu errichten versucht, lebt alsbald in der Hölle hienieden. Es gibt und kann keine Auflösung aller Widersprüche geben, es gibt und kann keine perfekte und ewige Ordnung geben.

Nahaufnahme von weißen Federn.
Zwischen Himmel und Erde
Quelle: unsplash.com

Sie widerspräche der Struktur der Wirklichkeit selbst, die jenseits jeder Idee der Vollkommenheit steht und man kann sich daher fragen, ob die Utopie nicht selber als Versuch der Depotenzierung jenes „Absolutismus der Wirklichkeit“ angesehen muss, der die menschliche Existenz demütigt.

Utopie des Wunsches

Dieser Gedanke kann uns dabei helfen, eine bestimmte Form der Utopie, die man vielleicht Utopie des Wunsches nennen sollte und deren gespaltene Daseinsform, zwischen Insistenz und Obsoleszenz, zu verstehen und von ihr eine andere Form der Utopie zu unterscheiden, die womöglich auch gegenwärtig noch Zukunft hat. Denn die Utopie des Wunsches ist, wie bereits angedeutet, an eine Bezwingung und Übermächtigung der Wirklichkeit gebunden, die alle Wirklichkeit, die menschliche wie die nicht-menschliche, einem mathematischen Raster und technischer Abschöpfung unterwirft.

Frau im Steampunk Stil steht auf einer Brücke, in ähnlichem Stil. Im Hintergrund ist die Weltkugel zu sehen.
Utopie verzeitlicht

Dieses Muster findet sich in allen utopischen Szenarien der frühen Neuzeit wieder, bevor die Utopie im eigentlichen Sinne verzeitlicht und das heißt geschichtlich wird.

Im Lichte dieser Grundkonfiguration der Utopie scheint es kurzsichtig, zu beklagen, dass der Quell und Ursprungsherd heutiger Utopien im Silicon Valley seine konkrete Verortung findet. Die Kritik der technokratischen Utopie bleibt unzutreffend, weil sie die historischdominante Ausprägung der Utopie als Wunsch verkennt, die notwendig technische Beherrschung der Natur impliziert.

Unsere organische Welt

In unserer Zeit kann diesem Wunsch aber nur derjenige nachhängen, der immernoch glaubt oder den Glauben nötig hat, mit technischen Mitteln gegen einen imaginären Feind siegen zu können, während dieser sich uns längst als unwirklich, wo nicht als unüberwindliche Nemesis erwiesen hat, die uns nur in der Zusammenarbeit mit ihr, noch auf ein Weitergehen des Zivilisationsprozesses hoffen lassen kann: die Rede ist von der organischen Welt, dem uns umfassenden und bedingenden Grund, oder dem, was man heute nur noch unter Verwendung von Klammern und Anführungszeichen „Natur“ nennen kann.

Die einzige noch zeitgemäße Utopie wäre so die Utopie der Hoffnung. Von der Hoffnung hat Ernst Bloch gesagt, sie sei es, die uns nicht zuschanden werden ließe. Die Hoffnung ist insofern Abwehr der Verzweiflung, wie sie Keim der guten Zukunft ist. Und in dieser schützenden Bewegung hält sie das Übel der Ratlosigkeit auf Abstand und ihre Hand über uns.

Viele bunte Balloons vor einem blauem Himmel.
Anderswo
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All das ist wohl schon utopisch, aber es verbleibt ohne konkreten Vorstellungsinhalt, es ist objektlose Gesinnung, die mit dem Ansinnen auf eine ungeahnte und doch ahnungsvoll-präsente Fülle zielt, die zunächst unbestimmt bleibt. Bloch unterscheidet den Wunsch nicht streng genug von der Hoffnung, lässt beide gleicherart Väter des Gedankens sein; für ihn ist das erhoffte „‚Drüben‘“ ein wenigstens noch innerlich jenseitiginnerliches Anderswo und als dieses ist es seltsamerweise ebenso metaphysisch wie jenes Objekt, das wir als Wunschobjekt gekennzeichnet haben.

Bloch und die Hoffnung

So entkoppelt Bloch es von der Möglichkeit, lässt die Hoffnung auf die Notwendigkeit irgendeines Absoluten drängen, das außerhalb des Umkreises des empirisch bedingten residiert, seelisch gärt und als umdenkend-gedankliches der Wirklichkeit entgegengesetzt ist.

Auch ein solches Utopisches muss heute letztlich unbrauchbar erscheinen, nicht weil es nur einen diffusen Vorstellungsinhalt mit sich führt, sondern weil seine Bedingungslosigkeit unter den Voraussetzungen der Gegenwart scheitern muss, wenn es nicht die vollendete Absehung von ihr forciert.

Einzelne Zahnräder liegen auf schwarzem Hintergrund.
Unbrauchbar?

Denn es bleibt letztlich auf die Inwendigkeit des Subjekts beschränkt, selbst wenn sein Auswendig-Werden gewollt wird, ist es zu sehr an eine seelische Transzendenz der Gegebenheiten gebunden, die Wirklichkeit und Möglichkeit zum Vorteil innerer Notwendigkeit überspringt. Es geht Bloch, wie er schreibt, darum, den Menschen „Wandernde[n] und Kompaß“ zugleich sein zu lassen. Das kann er nicht, denn nicht Richtung, nicht Norden sucht der Mensch und wühlte er nach ihm, in der erträumten Erde der bloßen Innerlichkeit, er wühlte vergeblich.

Die Utopie der Hoffnung kann heute nicht mehr von der Inwendigkeit ins Äußere verlaufen, sondern muss sich an die Welt von Bedingtheit, Bindung und Begrenzung halten, die wir Wirklichkeit genannt haben. Dass hierin das Schwerste und der höchste Mut liegen muss, kann wohl nicht bezweifelt werden.

Probleme unserer Welt

Denn in der Tat konfrontiert uns die Gegenwart mit der grollenden Schließung der Möglichkeit des Gelingens durch eine dichte Wolke kommender Übel — der Überbevölkerung, des digitalen Totalitarismus, der Explosion der Ungleichheit, der Krise der von Wahrheit und Faktizität, der ökologischen Katastrophe im Ganzen.

Gewitterwolke mit Blitzen über einem Strand. Im Hintergrund sieht man eine beleuchtete Stadt.
Das drohende Übel.
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An welcher Quelle sollte der Mensch Zuversicht schöpfen, wenn alle Wasser schwarz geworden sind? Er soll es nicht. Denn die Zuversicht mischt sich zu leicht mit dem Wunsch; sie will aus dem Wollen selbst, die Wirklichkeit einer Welt erstehen lassen, die nicht sein kann; auch sie will von der Bedingtheit absehen, will den Willen Notwendigkeit werden lassen. Sie spricht noch immer von fremden Welten: — man gebe mir Materie und ich baue eine Welt.

Sich von der Not nicht blind machen zu lassen, damit beginnt vielleicht die Utopie der Hoffnung. Ihr Augenaufschlag richtet sich auf die Übel, bleibt aber nicht bei ihnen stehen, sondern umfasst sie, indem er zählt und benennt, Wege zu ihr sich sucht, die kein Kompass, schon gar kein innerer, weisen kann.

Utopie der Hoffnung

In tiefstes Erstaunen sollte uns vielmehr versetzen, dass es das Unvorgezeichnete gibt, das es, obwohl abendlich und verdunkelnd, auch ein Licht beherbergen muss, das physisch nicht metaphysisch, bedingt, nicht absolut, weil es entzündet, nur durch den Möglichkeitsinn ist, welcher im Gegebenen — und sei dies noch so herbstlich — seine Reaktionsenergie hat. Es lässt sich dergestalt nicht hineinspiegeln in die Tätigkeit, sondern muss aus den Bindungen, die wir zur Welt unterhalten hervorgehen.

In concreto: wenn unsere realen Einrichtungen die Überbevölkerung hervorbringen, können wir nur hoffen, sie durch sachliche Umgestaltung, durch beharrliche Kritik, die unserem Unbehagen entspricht und entspringt, zu verändern; wenn wir uns vor den Mächten einer Infrastruktur fürchten, die nicht nur verbindet, sondern fesselt und zugleich schutzlos werden lässt, müssen wir hoffen, in ihr und ohne in Ablehnung und Rückzug zu verfallen, Reservate und Schutzräume zu schaffen; wenn Wahrheit und Faktizität in einem Umbruch begriffen sind, müssen wir hoffenden Mutes danach fragen, welche Bedingungen sich eingrenzen lassen, um die Täuschung auffliegen zu lassen.

Bild von grünen Fäden, die an metall Perlen zusammen laufen.
Infrastrukturen fürchten?

Virtuelle Traumwelten

Wenn aber Wahrheit und Täuschung sich nicht mehr erkennen lassen, weil sie keine entzifferbaren Merkmale mehr haben, vergeht auch der Unterschied von Wunsch und Hoffnung. Dann gibt es nur noch jene täuschenden Lösungen, die von der Übermächtigung der Wirklichkeit angeboten werden: als reine Virtualitäten, Traumwelten — als Simulation.

Das ist noch nicht der Fall, das gehört noch nicht zu dem, was zu recht oder unrecht Welt heißt. Will sagen: Anstrengungen zu unternehmen, ist noch nicht umsonst, es gibt keinen Grund, keinen Abgrund, der erlaubte aufzugeben, sich fallen zu lassen. Die Utopie der Hoffnung ist bestenfalls ein Lernen vor dem Fall und von ihm.

Man wird wohl bemängeln, dass dies nicht konkret genug, nicht pragmatisch, ja noch immer träumerisch-unsachlich klingt. Damit wird man nur insofern recht haben, wie man die Pointe des hoffnungsvoll Utopischen verpasst zu haben, umgekehrt bereit ist. Denn dieses orientiert sich ja am noch Unkonstruierten, aber Konstruierbaren, dieses aus der gegenwärtigen Not gewinnend, von der es sich klärend distanziert.

Wissen ist Macht

Jener Francis Bacon, der mit Nova Atlantis eine der drei entscheidenden Utopien der frühen Neuzeit verfasst hat, sprach als erster, so deutlich wie keiner vor ihm, den Zusammenhang von Wissen(schaft) und Macht aus. Nam et ipse scientia potestas est. Man hat dieses Wort gerne zur Zielscheibe der Kritik einer modernistischen Erhebung der Vernunft über die Natur gemacht.

Wesentlich scheint aber bis heute nicht ihre Verächtlichkeit, sondern dass sich in ihr eine Weise zeigt, wie der Mensch sich zu einer bestimmten Zeit sich selbst zu verstehen gibt, im Verhältnis zu dem, was ihn umgibt.

Was ist Macht?

Denn Macht ist nicht einfach ungerichtete Kraft, nicht einfache Potenz und in sich ruhendes Vermögen, sondern nach außen gerichtetes, expansives wie obsessives Drängen des Wunsches und in letzter Konsequenz möglichst umfassende Beherrschung aller Existenzbedingungen.

Leuchtene Glühbirne, umschlossen von Händen links und rechts.
Macht
Quelle: pexels.com

Weil diese Macht des Wunsches sich als verfallen, da uneinlösbar, erwiesen hat, ist auch die klassische Utopie des Wunsches unbrauchbar geworden. Die Absurdität, die den eskapistischen Träumen der Marsbesiedlung und Weltraumeroberung heute anhaftet, steht Zeugnis.

Das Universum

Der Weltraum kennt keinen Columbus und es wird keine Neuen Portugiesen geben, die ja selbst nur dank ihrer Irrungen fanden, was sie nicht suchten. Überhaupt wird man immer nur finden, was man nicht sucht. Nicht zu suchen aber ist unmöglich, wenn man nicht findet, bevor man sucht, nicht antwortet, ohne gefragt zu haben. Man fragt aber, ohne über Antworten zu verfügen.

Also hat das Fragen Sinn. Damit nicht aufzuhören, auch in der Not nicht, die manchmal den Erlösungstraum uns als wegsam vorzeichnet, wäre ein möglicher Sinn der Hoffnung und ihrer utopischen Dimension.

Astronaut im Weltraum. Schwarze Leere, unter ihm eine Erdwölbung.
Der Weltraum kennt keinen Columbus.

Ein Gespenst im Spiegel

Diese selbst ist nicht zuerst Entwurf, sondern nüchterne Bestandsaufnahme. Die Macht, die Wissen ist, die noch Bacon kannte, ist heute selbst Trugbild, Simulakrum. Beide neu zu denken, als Weitblick, Verbindlichkeit, Verantwortung, Mut, Offenheit, könnte das Scheinrätsel des inneren Menschen, der sich in der klassischen Utopie als Gespenst im Spiegel zeigt, in die Frage nach dem Weitergehen der erdhaften Menschenwelt und seinen Bedingungen verwandeln.

Damit betröge man nicht die Technik, die Strategie, die Moderne oder den Menschen, wohl aber den Trug und die Verlockung der unendlichen Möglichkeit und der Möglichkeit des Unendlichen.

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